Schule an der Ruhraue feiert 100. Geburtstag
PRESSEMITTEILUNG STADT OLSBERG 17.11.2024
Bigge. Anna sitzt im Rollstuhl, spricht nicht, kann sich nur wenig mitteilen. Sie spielt mit Hingabe mit einem Buchstabenklavier, viele Wochen sehr intensiv. Eines Tages wird Anna unruhig. Über ihren Talker, ein Tablet, mit dessen Hilfe sie auf einfachstem Niveau kommunizieren kann, drückt sie die von der Lehrerin für sie eingerichteten Felder „Buchstabenklavier“ und „krank“. Es stellt sich heraus, dass die Batterien schwach werden und die Töne daher anders klingen als sonst. Anna hat das verstanden und um Abhilfe gebeten - auf ihre Weise. Eine völlig neue Kombination, die sie selbst gefunden hat – und die ihre Lehrerin beeindruckt. Ein Riesenschritt für die Schülerin.
Es sind Geschichten wie diese, die deutlich machen, was Schule für schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche bedeuten kann. Die Schule an der Ruhraue in Olsberg kümmert sich seit 100 Jahren um besondere Mädchen und Jungen. Als Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung ist diese Schule ein Ort, an dem Kinder mit Körperbehinderungen bestmöglich gefördert und auf ihrem individuellen Bildungsweg begleitet werden. Nicht alle Schülerinnen und Schüler sitzen im Rollstuhl oder haben eine offensichtliche Einschränkung. An der Schule an der Ruhraue finden Kinder und Jugendliche mit einer Körperbehinderung einen geschützten Raum, um sich vorurteilsfrei und fern vom Leistungsgedanken in ihrer Geschwindigkeit und im Rahmen ihrer Fähigkeiten entwickeln zu können.
Gegründet im Jahr 1924 als zweiklassige Volksschule im Josefsheim, um Jungen mit körperlichen Beeinträchtigungen zu unterrichten, hat sich die Einrichtung über die Jahrzehnte hinweg entwickelt. Von ihren Anfängen bis hin zur heutigen modernen Schule hat die Institution eine beeindruckende Geschichte des Wachstums und der Anpassung an die Bedürfnisse ihrer Schülerinnen und Schüler durchlebt.
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde die Schule an die Volksschule Bigge angeschlossen, um ihren Bestand zu sichern. Der 1. Schulleiter nach dem Krieg wurde 1957 Ferdinand Tönne – bis zu seiner Pensionierung 1969. Ihm folgte Herbert Einhäuser 1969 bis zu seinem frühen Tod in 1987. Rembert Busch, seit 1980 Sonderschullehrer an der Schule, übernahm die Schulleitung 1988 bis 2012. Danach engagierten sich Barbara Wolf und Manfred Kerl für einige Jahre. Mit seiner langjährigen Erfahrung und seiner Persönlichkeit prägt Benedikt Abel seit 2020 den Charakter der Schule spürbar nach innen und außen.
Ein entscheidender Meilenstein war der Neubau eines separaten Schulgebäudes auf dem Gelände des Josefsheims in den Jahren 1962 bis 1964. Dieser Bau umfasste sechs Klassenräume und wurde 1966 durch ein Schülerinternat erweitert. Die Contergan-Folgen führten zu einem raschen Ausbau der Internatskapazitäten, um die steigende Anzahl von Kindern mit körperlichen Behinderungen aufzunehmen. 1970 wurde die Schule auch für externe Schülerinnen und Schüler geöffnet, was zu einem weiteren Wachstum führte. 1978 ermöglichte eine Gesetzesänderung auch Kindern mit Schwerstbehinderungen den Besuch der Schule. Dies ließ die Schülerzahl auf 120 ansteigen und erforderte weitere bauliche Erweiterungen.
1998 wechselte die Finanzierung der Schule vom Josefsheim zum verpflichteten Schulträger des Landes NRW, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Schulträger blieb die Stadt Olsberg, die allerdings keine Kosten tragen muss. Das Lehrpersonal wird vom Land NRW vergütet, das übrige Personal wie Sekretärin, Hausmeister, Küchenpersonal, Therapeutinnen und Pflegekräfte ist angestellt bei der Stadt; die Kosten werden aber komplett über den LWL refinanziert.
1998 war der Schulneubau in der Ruhraue bezugsfertig – die Baukosten betrugen 24 Millionen D-Mark. Das Gebäude bietet 17 Klassenräumen und vielen Funktionsräumen Platz inklusive einer Sporthalle. Geplant war das Gebäude für 150 Kinder. In wenigen Jahren stieg die Schülerzahl auf 193 an. Grund war die gute personelle und sächliche Ausstattung mit einem individuellen Lernangebot.
Aktuell besuchen 179 Schülerinnen und Schüler in 16 Klassen die Schule, die von 45 Lehrkräften inklusive 4 Lehrkräften in Ausbildung betreut werden. In der Pflegeabteilung sind 7 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Krankenschwestern und Pflegekräfte) sowie 9 in der Therapieabteilung (Physio- und Ergotherapie) tätig. Dazu kommen junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr, im Bundesfreiwilligendienst, im Fachoberschulpraktikum. Aktuell unterstützen rund 40 Schulbegleiterinnen und -begleiter die Arbeit in der Schule an der Ruhraue. Zählt man noch die Mitarbeitenden im Bereich der Verwaltung, Haustechnik und Küche hinzu, stellt man schnell fest, dass an der Schule insgesamt 110 Personen arbeiten.
Ein umfassendes therapeutisches Angebot, bestehend aus Physiotherapie, Ergotherapie, externer Logopädie und Autismustherapie, unterstützt die Kinder in ihrer Entwicklung. Alle Schülerinnen und Schülern haben eine körperliche Behinderung, werden aber nach verschiedenen Bildungsgängen unterrichtet. So gliedert sich der Unterricht in jeder Klasse nach den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Lernenden in den Bildungsgängen: Grund- und Hauptschule, Lernen, geistige Entwicklung und Schwerstbehinderung – was die Anforderungen an die Differenzierung durch die Lehrkräfte anspruchsvoll macht. Trotz zahlreicher Herausforderungen, ganz besonders dem Fachkräftemangel und den insgesamt steigenden Anforderungen, bleibt die Schule ein Ort des Engagements und der Förderung.
Der Förderverein, der seit 1996 besteht, leistet einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung zusätzlicher Angebote, wie heilpädagogisches Reiten oder Klassenfahrten Schulfeste oder Schulmaterial, das der Schuletat nicht abdeckt. So wurde und wird auch zum 100jährigen Bestehen der Schule kindgerecht gefeiert: Der Clown Fidelidad trat im März bereits mit seinem Team in der Turnhalle auf. Zudem freut sich die ganze Schule am Donnerstag, 21. November 2024, auf das Kindermusiktheater Pindakaas. Beide Aktionen finanziert der Förderverein.
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